Interview- Seite 1
Von Idyllen, Labyrinthen, dem wuchernden Chaos und
den Räumen dazwischen
Der Plastiker Frank Neye im Gespräch mit Cornelia Müller
Du behauptest „Das Leben ist kein Stuhl!“ Um es Dir gleich zu tun und ein bekanntes Zitat abzuwandeln:
Wie bist Du nur so auf den Stuhl gekommen?
Alte, mehr noch kaputte Möbel haben schon immer eine große Anziehungskraft auf mich ausgeübt.
Den Stühlen kommt dabei eine ganz besondere Bedeutung zu.
Woran machst Du diese Bedeutung fest? Was unterscheidet den Stuhl von einem anderen Möbel?
Ich möchte es so beantworten: Wärst´ Du einverstanden, wenn ich bei Gelegenheit mal zu Dir nach
Hause komme und alle vorhandenen Stühle so umstelle und neu platziere, wie es mir in den Sinn kommt?
Ich kann Dir im Moment noch nicht ganz folgen aber meine Antwort würde wohl „Nein“ lauten!
Das hatte ich vermutet! Stühle stehen nicht nur zufällig irgendwo in der Wohnung herum. Sie bestimmen
den Platz, der uns gehört. Mit Stühlen markieren wir unsere Rückzugsgebiete, die Orte der Konzentration
und der Geborgenheit. Der Stuhl gewährt uns Ruhe und lässt uns neue Kraft tanken.
Wenn wir aber wieder am aktiven Leben teilnehmen wollen, dann müssen wir uns in Bewegung setzen
und diese Orte verlassen.
Doch sobald man sich in Bewegung setzt, scheint es gefährlich zu werden. Man findet nur schwer einen
Halt oder droht sogar abzurutschen. Sicher geglaubte Orientierungspunkte verschwimmen.
In Deinen Arbeiten erweisen sich Idyllen oft als trügerisch!
Gründet sich nicht jedes Idyll auf der Illusion, mehr noch, auf der Sehnsucht nach
Schutz und Geborgenheit?
Aber so sehr wir uns auch nach dem Idyll sehnen: Wir müssen raus in die Welt! Und dort treffen wir auf
Ordnungen, die sich in einem ständigen Wandel befinden. Ohne Ruhepause brechen alte Strukturen auf
und neue Verbindungen sowie neue Wirkungszusammenhänge entstehen. Mit meinen Arbeiten möchte
ich diese Bruchstellen aufspüren und die Verschiebungen im Gefüge ausfindig machen. Ich liebe es dabei,
die Ambivalenz, die eine Welt im Umbruch erzeugt, zu überhöhen und ins Absurde zu steigern.
Das Idyll war und ist ja gerade im deutschsprachigen Raum eine Vorstellung, die
stark romantisiert wurde…
Ja, das könnte vordergründig ein erster Ansatzpunkt sein, warum ich in meinen Arbeiten immer wieder auf die
Vorstellung eines Idylls zurückgreife.
Nur geht es mir nicht um das Gestalten von romantischen Szenerien. Mit meinen Arbeiten beklage ich
vielmehr den Verlust und das Verschwinden der alten Mythen, des Phantastischen und des Wunderbaren.
Ursächlich hierfür dürfte die Verwissenschaftlichung und die Technologisierung auch des kleinsten
Lebensbereichs sein. Heute lassen wir doch nur noch das in unser Leben, was durch die Wissenschaften
bewiesen wurde und das technisch umsetzbar scheint.
Warum beispielsweise kommunizieren wir mit unseren Freunden so gerne und ausdauernd via Twitter,
SMS, Facebook etc. anstatt sich einfach mal mit ihnen zutreffen?
Ich fühle mich in dieser Welt domestiziert.