Interview- Seite 2
 
 
  Ein weiterer Gedanke, der mir beim Anblick Deiner Plastiken in den Sinn kam, war: 
  Diese Arbeiten sind offen, man kann durch sie hindurchsehen, erkennt innere Strukturen und labyrinthische 
  Räume – sie strahlen etwas Fragiles aus. Bislang habe ich Plastiken und Skulpturen eher als massive und 
  abgeschlossene Objekte wahrgenommen. Deine Arbeiten scheinen durchlässig zu sein. 
  Für jeden Künstler, der Skulpturen oder Plastiken fertigt, ist die Gestaltung des Raums ein zentrales Thema. 
  Die Möglichkeit, innerhalb eines Raums weitere Räume zu schaffen, die in einem labyrinthischen System 
  miteinander verbunden sind, hat etwas ungemein Faszinierendes! 
  Deine Plastiken sind licht- und luftdurchströmt … 
  … ja, „und der Wind wehte die Erde durch die Ritzen in den Türen“. 
  Wie bitte? 
  Ich liebe diesen Song von Kante1: Dieses Bild, dass nicht die Tür an sich, sondern die in ihr vorhandenen 
  Ritzen für permanente Durchlässigkeit sorgen, diese Vorstellung von allseitiger Offenheit, von „Durchwehtsein“, 
  gefällt mir gut. 
  Du fügst den Titeln Deiner Arbeiten häufig den Begriff „Rekonstruktion“ hinzu – was hat es mit dieser 
  Werkgruppe auf sich? 
  Ausgangspunkt für meine Rekonstruktionen sind Fragmente bzw. Reste von Möbeln wie von Tischen und 
  Stühlen, die ich zum Beispiel auf dem Sperrmüll finde. Ich spüre dann der Frage nach, welche Form, welches 
  Eigenleben, ja, fast möchte ich sagen – auch auf die Gefahr hin, etwas pathetisch zu klingen – „welche Seele“ 
  für dieses Objekt die angemessene, die richtige und die einzig mögliche war und ist – und baue dann das 
  Objekt in diesem Sinne wieder auf. 
  Aber auf einem von dir wieder aufgebauten Fragment eines Stuhls kann man nach Fertigstellung nicht mehr 
  sitzen, das heißt, du entbindest damit das Objekt von seiner ursprünglichen Funktion? 
  Ja, unbedingt! – Weil dies erforderlich ist, um das Objekt zu befreien! Die einem Objekt zugewiesene Funktion 
  ist doch letzthin variabel und austauschbar, sie ist ein Etikett, das je nach Umfeld und Erfordernis dem Objekt 
  angeheftet oder abgenommen wird – sie ist somit ohne Bedeutung. Hat nicht Duchamp ein Urinal 
  zum Kunstwerk erklärt und es im Ausstellungsraum einer Galerie gezeigt?2  In diese museale Keramikschüssel 
  wird wohl heute niemand mehr seine Notdurft verrichten. 
  Aber der Begriff „Rekonstruktion“ suggeriert mir, dass etwas in seinen ursprünglichen Zustand bzw. in seine 
  ursprüngliche Form zurückversetzt wird. Das scheint mir bei Deinen Arbeiten jedoch nicht der Fall zu sein! 
  Nun, ich interpretiere diesen Begriff anders, da meine Zielrichtung eine andere ist. Wenn ich zum Beispiel 
  einen kaputten Stuhl vorfinde – sagen wir mal nur ein Stuhlbein mit den Resten von ein paar 
  Verbindungsstreben –, so stelle ich mir vor, man würde dieses Fragment als etwas Organisches und 
  Lebendiges betrachten – ähnlich einer lebenden Zelle – und es in eine Nährlösung tauchen: Wie und in 
  welche Richtung, mit welchen Formen würde es sich auswachsen oder gar auswuchern? Es scheint mir, 
  dass sich durch diese Art der Betrachtung mehr Lebendigkeit und vielleicht sogar ein größerer Grad an 
  Wahrhaftigkeit erzielen lassen. 
  Du sprichst „vom Organischen“ bzw. „vom Lebendigen“ in Deinen Arbeiten. Diese Begriffe spiegeln sich auch 
  in den anderen Werkgruppen: Ich sehe immer wieder organische Gebilde – Pilzen oder Flechten gleich –, 
  die an oder aus harten, geometrischen Objekten herauswachsen. Dieser Kontrast zeigt sich auch im 
  verwendeten Material: So kombinierst Du zum Beispiel harten Beton mit fragilen Hölzern. 
  Dieses Zusammentreffen empfinde ich nicht nur in der visuellen Wirkung als äußerst spannend! Diese 
  Vorstellung, dass sich etwas Lebendiges – die von Dir genannten Pilze und Flechten sind mir ein sympathischer 
  Vergleich – an einem schweren und massiven Objekt festmacht, dann an ihm emporwächst, es überwuchert, 
  überwindet und schließlich vereinnahmt, bringt in meinem Innersten einen Resonanzboden zum Schwingen!