Interview- Seite 3

Ein Erklärungsversuch mit einem eher psychologischen Ansatz könnte lauten, dass sich in diesem Zusammentreffen ein Grundkonflikt unseres heutigen Lebens zeigt: Unsere Sehnsucht und unser Streben nach einer individuellen, selbstbestimmten und freien Gestaltung unseres Lebens in einer genormten, technologisierten und auf Effizienz getrimmten Umwelt. Ach Gott, ja vielleicht – aber vielleicht ist es auch so, dass ich keine Plastiken mag, bei denen es in letzter Konsequenz nur darum geht, dass Dreiecke und Quadrate aneinandergereiht werden – diese Formensprache ist mir in ihrer Wirkung zu antiseptisch. Ich möchte gerne noch bei diesem Punkt bleiben und einen Katalogtext zitieren: „[… ] eine geordnete, klassisch anmutende Formenwelt im Zeitpunkt des Umbruchs und der Wandelung zu archaischen, bisweilen zu labyrinthischen und chaotischen Strukturen.“ Nun, es entspricht meiner tiefsten Überzeugung, dass eine jede von Menschenhand und -geist geschaffene Ordnung – also alles Erdachte, Konstruierte, Berechnete, Perfektionierte, Gestylte usw. – sowieso nur für einen kurzen Augenblick dem wuchernden Chaos entrissen werden kann, dann aber von diesem zurückerobert wird und letztendlich wieder in ihm verschwindet. Also alles nur geborgt – ob wir wollen oder nicht? Ja, irgendwann klopft dieses wild wuchernde Chaos – oder nennen wir es ruhig mal den „übermächtigen Schöpfer“ – an die Tür und fordert bzw. nimmt sich sein Eigentum zurück – ob wir wollen oder nicht! Spannend und erschreckend zugleich finde ich diese Momente des Umbruchs, wenn unsere vertraute und geordnete Welt zerbröselt und vom Chaos aufgesogen wird – oft in einem schleichenden, anfangs vielleicht kaum merklichen Prozess oder auch in einem plötzlichen, impulsiven Akt: Aber wer kann zum Beispiel das Altern stoppen, den Tod abschaffen, wer kann einen Vulkan am Ausbruch hindern, kann der Erde verbieten, zu beben, oder wer kann einem Orkan die Kraft nehmen? Was hilft uns alles Wissen und alle Weisheit, wenn unsere fantasierte Allmacht dann am Ende mal wieder von unserer realen Ohnmacht überholt wird? Überkommen Dich gelegentlich auch mal „Allmachtsfantasien“ oder sind Dir diese fremd? Im Atelier sind Allmachtsfantasien immer zugegen. Ich glaube, sie sind ein wichtiger Faktor in der künstlerischen Arbeit: Vor meinen Skulpturen bin ich „allmächtig“ (!) – Auch wenn sie mich ständig in Kämpfe zwingen. Hier kann ich Schöpfer und Zerstörer sein, hier bin ich niemanden verpflichtet außer mir selbst. Wenn ich das Atelier verlasse, dann verlässt mich auch dieses Allmachtsgefühl. Es scheint mir, als wenn meine Fantasien an diesen Ort gebunden sind – vielleicht verwandelt sich deshalb dieser kärgliche und funktionale Raum in einen zuweilen rauschhaften Ort. Ich nehme in Deinen Arbeiten zunehmend eine Tendenz zur Reduktion und zur Vereinfachung wahr – Du verweigerst Dich dem Verschwenderischen? Verschwendung ist doch eigentlich öde! Nun, ich spüre die Allgegenwart des wuchernden Chaos, dieser treibenden Kraft, die ALLES beschleunigt, in Bewegung hält, auseinanderreißt und neu zusammenfügt, die umschichtet, verwirbelt und überwuchert– eine Kraft, der ich mich nur mit Anstrengung punktuell entgegenstellen kann. Das macht es erforderlich, Dinge, die einem wichtig sind, zu bewahren und gleichzeitig hinderlichen Ballast abzuwerfen, sozusagen mit leichtem Gepäck zu reisen, sich zu reduzieren – im täglichen Leben und erst recht in der Kunst. Mit Deinem Monument für ein Knäuel wolltest Du dem Chaotischen ein Denkmal setzen? Ja, gewissermaßen als Momentaufnahme des Chaotischen – das Chaos im Stillstand – ein schöner Widerspruch in sich. Woher stammt Dein Interesse – oder darf ich sagen: Deine Besessenheit – für das Knäuel?